Häuser und Städte müssen grüner werden

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Ein begrüntes Gebäude von oben, über das viele Menschen laufen.

Grünflächen vermindern Hitze, erzeugen Verdunstungskühle, binden Schadstoffe und halten Regen zurück – was hält uns ab, diese Vorteile zu nutzen?

Nachhaltigkeit in der Architektur – was bedeutet das eigentlich? Der erste Gedanke, der einem gleich in den Sinn kommt ist ressourcenschonendes Bauen: Also das Verwenden von upgecycelten Baumaterialen und erneuerbaren Materialien wie Hanfkalk, Holz statt Beton oder auch der Einsatz erneuerbarer Energiequellen, Wassersparsysteme, der Bau anpassungsfähiger modularer Räume oder Tiny Houses, die nur wenig Energie und Land verbrauchen. Nachhaltigkeit beginnt aber auch schon früher: Ein gezieltes Leben in und mit der Natur ist ein extrem wichtiger Faktor in Sachen Nachhaltigkeit.

Prof. Georg Poensgen, Studiengangsleiter Master-Studiengang Architektur an der Hochschule Koblenz, erklärt, wie man Leben, Wohnen und Arbeiten im Stadtraum nachhaltig denken und konzipieren kann. Und wo Nachhaltigkeit beginnt.

Prof. Georg Poensgen

Herr Prof. Poensgen, was verstehen Sie unter nachhaltiger Architektur?

Als Architekt ist es meine Hauptaufgabe, lebenswertere Orte und Räume zu gestalten, die den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen sind. Das erfordert sowohl die Schaffung neuer Wohn- und Arbeitsräume ohne zusätzliches Bauland als auch die Anpassung von Städten an zukünftige Klimabedingungen. Dazu gehören die Optimierung von Wohnflächen, die Sicherung der Energieversorgung und die Wasserrückhaltung, die durch begrünte Dächer gefördert werden kann. Dies verbessert nicht nur das Mikroklima, sondern steigert auch die Biodiversität und die Luftqualität im Quartier. Jeder kann einen Beitrag dazu leisten, und das wäre enorm wichtig.

Weshalb ist es wichtig, die Städte in den Fokus zu setzen?

Laut den Vereinten Nationen wird bis 2050 voraussichtlich zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Die Herausforderung liegt im steigenden Bedarf an Wohn- und Arbeitsraum sowie den Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels, der Stadträume auf über 40 Grad erhitzt. Städte wie Koblenz erlebten bereits Rekordtemperaturen von 39,4°C im Juni. Um lebenswerte Städte zu erhalten, müssen wir vergangene Fehler vermeiden und gezielte Maßnahmen zur Temperaturreduktion im Sommer umsetzen. Langfristig erfordert dies eine Transformation städtischer Räume mit weniger Versiegelung, einem Ausbau des öffentlichen Verkehrs und mehr Grünflächen. Metropolen wie New York, Paris, London und Kopenhagen zeigen bereits, wie solche Veränderungen möglich sind.

Wie wollen Sie das den Menschen vermitteln, dass jeder etwas für Nachhaltigkeit tun kann?

Wir sollten Bürger aktiv in die Quartiersumgestaltung einbinden. Wir sollten die Proteste der „letzten Generation“ ernst nehmen und sie in Aktionen aktiv einbeziehen. Ich bin jemand, der für ein positives Narrativ vermitteln möchte. Wir müssen die Leute abholen, indem wir ihnen zeigen, was sie verbessern können und ihnen vielleicht Empfehlungen geben, wo sie sich verbessern können.
Aber auch die Politik ist gefragt und zwar nicht nur mit dem Blick auf sich selbst, sondern mit den Möglichkeiten die Menschen mehr abzuholen. Jeder kann seinen Beitrag leisten. Wir bekommen das nicht mit Verboten geregelt. Das schaffen wir nicht. Daran scheitern aktuell unsere besten Politiker.

Ein begrünter Wolkenkratzer rag in den Himmel. Drum herum stehen viele, braune Häuser.

Können Sie Beispiele nennen, wo man ansetzen könnte?

Architekten und Stadtplaner stehen vor der Herausforderung, Schwammstädte zu planen, indem sie Flachdächer und Fassaden begrünen. Dies fördert das Mikroklima, die Biodiversität und die Luftqualität. Grüne Flächen und begrünte Dächer tragen zur Wasserrückhaltung bei, entlasten die Kanalisation bei Starkregen und verhindern Überschwemmungen. Es ist auch wichtig, weniger zu versiegeln und versickerungsfähige Straßenbeläge zu verwenden.

In der Bildung könnten Schulklassen und Hochschulsemester Bäume pflanzen. Die Kinder und Studierenden können sie nach sich benennen, um das Bewusstsein für Umweltfragen zu schärfen. In NRW geht täglich eine Fläche von 10 Hektar verloren, was ca. 14 Fußballfeldern entspricht. Dieser Verlust grüner Lungen verschärft das Mikroklima und den Klimawandel. Wir müssen handeln, da die kommende Generation eine größere Erwärmung erleben wird.

Aber wir brauchen doch Wohnraum, Kindergärten, Büros, Gewerbeflächen. Wie kann das gehen, wenn man gezielt in und mit der Natur leben soll?

Dach- und Fassadenbegrünungen sowie urbanes Grün haben enormes Potenzial. Beispiele sind die High Line in New York, eine ehemalige Güterzugtrasse, die zur Parkanlage umgewandelt wurde, und das Bosco Verticale in Mailand, wo Bäume auf Balkonen von Hochhäusern wachsen. Paris plant die Bepflanzung von 170.000 Bäumen und die Umwandlung der verstopften Ringautobahn Périphérique in einen grünen Gürtel sowie die Begrünung der Ostfassade von Notre-Dame mit 130 Bäumen. Diese Maßnahmen könnten die Temperatur in Paris um 10 Grad senken, so Bürgermeisterin Hidalgo.

Was kann ich als Kommune oder Hauseigentümer machen?

Begrünen Sie Ihr Grundstück und Gebäude, wo immer möglich. Pflanzen Sie Bäume, denn Baumschatten bietet effektivere Kühlung als Sonnenschirme. Begrünen Sie Ihre Fassade, um die Temperatur auf 35 bis 40 Grad zu begrenzen, im Gegensatz zu 60 Grad bei herkömmlichen Fassaden. Dies fördert Nachhaltigkeit und verbessert das Raumklima. Bei neuen Kindergärten sollten Dachbegrünung und Gemüseanbau in Erwägung gezogen werden, um Biodiversität zu fördern und Verdunstungskühlung für die Kinder zu bieten.

Welche Vorteile haben Dach- und Fassadenbegrünungen noch?

Begrünte Dächer sind ideal für die Wasserrückhaltung, indem sie zwischen 20 und 100 Liter Wasser pro Quadratmeter zurückhalten, je nach Bauweise. Ich wohne in der Eifel. Während des Unwetters im Ahrtal, konnte unser Naturdach und unsere Zisterne in einer Nacht mindestens 15.000 Liter Wasser zurückhalten. Flachdächer mit Umkehrdachkonstruktionen bieten effektiven Schutz gegen Durchsickern und passen sich den Witterungsbedingungen an. Zusätzlich bindet ein Gründach Staub und CO2. Ein Quadratmeter Gründach filtert 0,2 Kilogramm Schadstoffe aus der Luft. Warum also nicht die Dächer für diese Zwecke nutzen?

Vielen Dank für das Interview und die Gedankenanstöße.

Von Petra Dettmer
Foto: AdobeStock