Chefsache | Neue Wege für Wohnraum und Baukultur

Mai 12, 2025 7 min lesen.

Chefsache | Neue Wege für Wohnraum und Baukultur

Wie kann Stadtentwicklung heute gelingen – trotz Wohnraummangel, wachsender Städte und dem Ziel nachhaltiges Bauen voranzubringen?
Jens J. Ternes, Gründer von Ternes Architekten BDA in Koblenz, setzt auf innovative Stadtumbau-Konzepte, die funktionale Architektur, urbane Lebensqualität und generationengerechtes Wohnen miteinander vereinen. Im Interview mit rz-Media-Geschäftsführer Evangelos Botinos und Redakteurin Anika Tilemann betont er, wie wichtig die Innenentwicklung und Nachverdichtung von Bestandsimmobilien für die Zukunft urbaner Räume sind. Doch aktuelle Bauvorschriften, hohe Anforderungen an die energetische Sanierung sowie fehlende Förderprogramme bremsen die Revitalisierung aus.
Anhand von Praxisbeispielen wie dem Projekt „Weiße Höfe“ oder „MY Quartier“ erklärt Ternes, wie durch nachhaltige Architektur, intelligente Nutzung von Flächen und moderne Mobilitätslösungen innerstädtische Quartiere wiederbelebt werden können. Besonders im Fokus: altersgerechtes Wohnen, soziale Verantwortung von Architektur und die Rolle flexibler Stadtplanung. Ternes plädiert für einen stärkeren Fokus auf den Umbau und die Aufwertung von Bestandsstrukturen, um Städte klimaangepasst, lebenswert und zukunftssicher zu gestalten.

Wie lassen sich Stadtentwicklung, Wohnraumknappheit und nachhaltiges Bauen in Einklang bringen? Jens J. Ternes, Gründer von Ternes Architekten BDA, setzt auf innovative Lösungen. Seit mehr als 25 Jahren gestaltet er aktiv die Architektur in Koblenz und der Region. Mit seinen Projekten setzt er auf nachhaltige Konzepte, die sowohl den Wohnraumbedarf decken als auch die städtische Identität bewahren. Im Gespräch mit rz-Media-Geschäftsführer Evangelos Botinos und WIRTSCHAFT-Redakteurin Anika Tilemann beleuchtet Ternes die Herausforderungen, denen sich Architekten und Stadtplaner heute stellen müssen, und erklärt, warum der Stadtumbau eine Schlüsselrolle für die Zukunft urbaner Räume spielt.

Botinos: Herr Ternes, im vergangenen Jahr haben Sie das 25-jährige Bestehen Ihres Architekturbüros gefeiert. Seit der Gründung von Ternes Architekten im Jahr 1999 haben Sie die Baukultur in der Region entscheidend mitgeprägt. Was hat Sie damals motiviert, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?
Ternes: Ich wollte Architektur schaffen, die nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch funktional durchdacht ist. Nach meiner Ausbildung zum Bauzeichner und meinem Studium an der Fachhochschule Koblenz habe ich in einem Koblenzer Architekturbüro gearbeitet. Schnell wurde mir klar, dass ich meine eigenen Ideen verwirklichen und Gebäude so planen wollte, dass sie langfristig flexibel und nachhaltig nutzbar sind. So startete ich 1999 mit einem Ein-Mann-Büro. Heute sind wir ein Team von mehr als 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und realisieren Projekte, die weit über die klassische Architektur hinausgehen.

Tilemann: Sie setzen sich für Innenentwicklung anstelle von Stadterweiterung ein. Was sind die größten Herausforderungen dabei?
Ternes:Die größte Herausforderung ist die mangelnde Flexibilität bei der Umnutzung bestehender Gebäude. Viele Gewerbeimmobilien in Innenstädten stehen leer – vor allem oberhalb des Erdgeschosses. Das liegt unter anderem am gesellschaftlichen Wandel: Digitalisierung, Homeoffice und der wachsende Onlinehandel reduzieren den Bedarf an Büround Einzelhandelsflächen. Gleichzeitig gibt es eine hohe Nachfrage nach Wohnraum. Doch bestehende Bauvorschriften und auch die Beschaffenheit mancher Bestandsimmobilien erschweren die Umnutzung. Strenge Vorgaben für Barrierefreiheit, Stellplätze oder Aufzüge sowie geltende Energiestandards treiben die Kosten in die Höhe und lassen viele Projekte unrentabel erscheinen. Gleichzeitig verschärfen zwei Entwicklungen die Wohnungsnot in den Städten: Zuwanderung und andauernde Landflucht. Die einzig sinnvolle Lösung ist es, den Bestand intelligenter zu nutzen und Nachverdichtungen zu fördern. Diese sind allerdings oft komplexer als Neubauten auf der grünen Wiese, dafür ist die Lage gewachsen beziehungsweise zentral. Vorhandene Infrastrukturen können berücksichtigt, Umnutzungs- wie auch Quartierskonzepte entwickelt und moderne Mobilitätslösungen integriert werden. Um die Innenentwicklung voranzutreiben, brauchen wir deshalb flexiblere Regelungen in der Landesbauordnung – etwa gezielte Ausnahmen für die Nachrüstung von Aufzügen, reduzierte Auflagen energetischer Sanierungen oder Lockerungen bei Stellplatzverpflichtungen, sprich vereinfachte Umnutzungsprozesse für Innenstädte und Stadt- sowie Dorfkerne. Oftmals könnten einfache Dachaufstockungen oder gar nur Dachausbauten für weiteren Wohnraum sorgen, scheitern dann aber an geltenden Verordnungen.

Botinos:Wenn wir den Wohnraum in den Städten besser nutzen wollen, spielt auch die Generationenstruktur eine Rolle. Wie können ältere Menschen motiviert werden, in kleinere, besser geeignete Wohnformen umzuziehen – und wie könnte das gleichzeitig den Wohnraummangel entschärfen?
Ternes: Das ist ein entscheidender Punkt. Viele Senioren wohnen noch in großen Einfamilienhäusern, die sie nicht mehr vollständig nutzen, aber auch nicht ohne Weiteres verlassen möchten. Gleichzeitig fehlen Wohnangebote, die attraktive Alternativen bieten. Hier sehe ich ein großes Potenzial in innerstädtischen Wohnund Seniorenwohnparks oder Mehrgenerationenhäusern. Wenn wir barrierefreien, modernen Wohnraum für ältere Menschen in den Städten schaffen, können sie dort ihren Lebensabend verbringen – und gleichzeitig wird Wohnraum für junge Familien in der Peripherie frei, die dringend Platz suchen. Das wäre ein Gewinn für alle Seiten, denn so können wir bedarfsgerechte Planungsansätze mit Blick auf den notwendigen Stadtumbau für unsere Städte und Zentren prägen.

Botinos: Welche konkreten Beispiele zeigen, dass nachhaltige Umnutzung funktionieren kann?
Ternes: Ein sehr gutes Beispiel ist unser Projekt „Weißer Höfe“ in Koblenz. Hier haben wir das ehemalige Stadtbad in ein modernes Wohnquartier umgewandelt und 144 neue Wohnungen unterschiedlicher Größe geschaffen. Die barrierefreie Wohnanlage mit begrünten Wohnhöfen und mehr als 320 Stellplätzen steigert die urbane Wohnqualität in Koblenz deutlich. Das Besondere: Es bietet Wohnraum für alle Generationen – von jungen Singles über Familien bis hin zu Senioren – und verzichtet dabei auf eine übermäßige Versiegelung. Gemeinschaftlich genutzte Außen- und Grünflächen erhöhen die Lebensqualität und fördern die Kommunikation in der Anlage. Zudem wurde durch die zentrale Innenstadtlage eine Nutzungsmischung aus Wohnen und Gewerbe realisiert, die den Bewohnern kurze Wege und eine lebendige Nachbarschaft ermöglicht.

Tilemann:Warum halten viele Investoren Revitalisierungsprojekte dennoch für wirtschaftlich unattraktiv? Was müsste sich ändern, damit mehr solcher Projekte realisiert werden?
Ternes:Die Wirtschaftlichkeit von Sanierungsmaßnahmen wird oft durch überregulierte Vorschriften ausgebremst. Besonders energetische Sanierungen scheitern häufig an hohen Anforderungen, die die Kosten unverhältnismäßig in die Höhe treiben. Natürlich ist Klimaschutz ein zentrales Ziel – aber er muss mit Augenmaß umgesetzt werden. Denn wenn sich eine Sanierung wirtschaftlich nicht lohnt, steht das Gebäude am Ende leer, verfällt weiter und wird zum Problem für die Stadtentwicklung. Stattdessen bedarf es gezielter Anreize: Wichtig sind zum Beispiel Förderprogramme, die speziell auf den Neubau im Innenbereich und im Sinne der Städtebauförderung auf die Bestandssanierung und Umnutzung zugeschnitten sind, sowie flexible baurechtliche Lösungen, die Investitionen in Altbauten im Bestand erleichtern.

Botinos:Sie haben Ihr eigenes Bürogebäude als energetisches Vorzeigeprojekt realisiert. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt – und welche Lehren lassen sich für andere Sanierungsprojekte daraus ziehen?
Ternes:Unser Bürogebäude war von Anfang an ein echtes Pionierprojekt. Als wir es 2005 gebaut und 2016 erweitert haben, wollten wir zeigen, dass nachhaltiges Bauen nicht nur eine Vision, sondern machbar ist. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut und Viessmann haben wir seinerzeit bereits ein Konzept entwickelt, das uns eine energetische Selbstversorgung von bis zu 75 Prozent ermöglicht. Diese Erfahrung hat uns bestätigt: Wenn Materialwahl, Energienutzung und Gebäudetechnik von Anfang an konzeptionell aufeinander abgestimmt sind, lassen sich echte Innovationen umsetzen. Aber für mich ist das Gebäude mehr als nur ein Vorzeigeprojekt in Sachen Energieeffizienz – es hat auch eine soziale Funktion. Der Konferenzraum im EG wird auch regelmäßig von Vereinen in Moselweiß genutzt, sei es für Sitzungen, Planungen oder Versammlungen. Mir war es wichtig, ein Gebäude zentral im Ort zu schaffen, das nicht nur unserem Büro dient, sondern auch der Gemeinschaft zugutekommt. Architektur bedeutet für mich nicht nur Bauen, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung. In gewisser Weise sehe ich mich als Bindeglied zwischen moderner Baukultur und den Menschen vor Ort, zwischen nachhaltigen Lösungen und den ganz konkreten Bedürfnissen unserer Region. Architektur übernimmt damit Aufgaben und verbindet.

Tilemann:Im November 2023 wurden Sie mit der Kulturehrennadel der Stadt Koblenz ausgezeichnet. Diese Ehrung würdigt Ihr besonderes Engagement im Bereich Kultur, Baukultur und ehrenamtliche Tätigkeiten. Was motiviert Sie zu diesem vielfältigen Einsatz für Ihre Heimatstadt?
Ternes:Als Familienvater und Koblenzer Lokalpatriot ist es mir seit jeher wichtig, mich ehrenamtlich für unsere Stadt zu engagieren. Ich sehe es nicht nur als Verantwortung, sondern auch als persönliche Bereicherung, meine Expertise und Zeit für die Gemeinschaft einzusetzen. Ob in Vereinen oder kulturellen Initiativen – diese Zusammenarbeit schafft Projekte, die das soziale und kulturelle Leben bereichern und für Bildung und Kultur den Zugang öffnen. Aber genauso wie Kultur prägt auch Baukultur eine Stadt. Architektur ist viel mehr als nur Gebäude entwerfen – sie schafft Identität, beeinflusst, wie wir unsere Umgebung erleben, und gibt Städten Charakter. Deshalb geht es mir nicht nur darum, einzelne Projekte umzusetzen, sondern langfristig zur Stadtentwicklung beizutragen. Ja, Gebäude verbrauchen auch Energie und deswegen ist es wichtig, sich auch diesem Thema zu widmen. Allerdings sind hier generell die Neubauten nicht das Problem, sondern eher die Altbauten sowie die Industrie und die Zweckbauten. Mit Blick in die Zukunft benötigen wir generell neue oder ausgebaute regenerative Energieträger – auch im Bereich der Mobilität – um dem Klimawandel entgegenzuwirken und den knapper werdenden Ressourcen gerecht zu werden. Die Umstellung auf Strom und Dämmung allein wird keine gesamtheitliche Lösung vollbringen können.

Botinos: Welche Potenziale sehen Sie hier noch für die städtebauliche Entwicklung in Koblenz und anderen Städten in Rheinland-Pfalz?
Ternes:Innenstädte müssen nicht nur funktional, sondern auch lebenswert sein. Mehr innerstädtisches Grün – etwa Parks, begrünte Plätze oder Dachgärten – erhöht die Aufenthaltsqualität und macht Stadtzentren attraktiver. Warum nicht ungenutzte Dachflächen, wie in Metropolen wie Paris, für Begrünung oder gemeinschaftliche Nutzungen öffnen? Gleichzeitig sollten wir stärker auf innerstädtische Konzepte setzen, die Wohnen, Arbeiten und Freizeit verbinden, statt immer neue Baugebiete am Stadtrand auszuweisen. Darüber hinaus gilt: Wenn Städte Fördermittel gezielt in nachhaltige Projekte investieren, profitieren sie über Jahrzehnte hinweg. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist die BUGA 2011 in Koblenz. Die Bundesgartenschau hat nicht nur kurzfristig viele Besucher in die Stadt gebracht, sondern auch das Stadtbild nachhaltig verändert. Der neu gestaltete Festungspark, die Seilbahn, die Tiefgarage unter dem Schloss und die verbesserte Infrastruktur wirken bis heute positiv nach und haben für zahlreiche weitere Projekte in und um Koblenz eine Initialzündung bedeutet.

Tilemann:In vielen Städten gibt es Konflikte zwischen Flächennutzung und Parkraum. Wie kann man das lösen?
Ternes:Parkraum bleibt ein sensibles Thema. Viele Städte haben das Problem, dass Tiefgaragen aufgrund von Versorgungsleitungen, Hochwasserschutz oder verengten Platz- und Baugrundverhältnissen oft nicht umsetzbar sind. Deshalb müssen wir verstärkt auf oberirdische Parklösungen setzen – kombiniert mit durchdachter Stadtplanung, damit Parkflächen sich in das Stadtbild einfügen. Stadtumbau bedeutet auch, zeitgemäße Mobilitätskonzepte zu integrieren. Ein gelungenes Beispiel ist unser Projekt MY Quartier in Mayen, bei dem ein Parkhaus mit Fassadenbegrünung in die bestehende Stadtstruktur integriert wurde. Hier wurde dringend benötigter Parkraum geschaffen und gleichzeitig das attraktive städtische Umfeld erhalten. Letztlich brauchen wir eine flexiblere Stadtplanung, die auf den gesellschaftlichen Wandel mit Blick in die Zukunft reagiert. Städte müssen anpassungsfähiger werden – sei es durch multifunktionale Gebäude, neue Mobilitätslösungen oder klimaangepasste Bauweisen mit mehr Begrünung, um die Städte und den pulsierenden Handel trotz Digitalisierung zu erhalten. Wenn wir es schaffen, bestehende Flächen intelligenter zu nutzen, können wir den Wohnraummangel lindern, Ortskerne wiederbeleben und gleichzeitig Flächenverbrauch sowie weitere Versiegelung reduzieren. Die Zukunft der Städte ist ein gesellschaftliches und zentrales Anliegen. Wir sind daher gut beraten, uns der Stärkung und dem Umbau von Bestandsstrukturen zu widmen, um das Leben unserer Städte zeitgemäß ausrichten und aufrechterhalten zu können.

Zum Unternehmen

Name: Ternes Architekten BDA
Gegründet: 1999 in Koblenz
Geschäftsführer: Jens J. Ternes, Dipl.-Ing. Architekt BDA
Standort: Koblenz-Moselweiß
Kernkompetenz: Planung und Realisierung nachhaltiger Architekturprojekte mit Fokus auf Stadtumbau, Umbau- und Sanierung, Nachverdichtung, energieeffizientes Bauen, öffentliche Gebäude, renditegeprüfte Kapitalanlagen und zukunftsfähige Wohnkonzepte
Mitarbeitende: Rund 30
Weitere Informationen: www.ternesarchitekten.de


Sie möchten mehr zu aktuellen Wirtschaftsthemen erfahren - mit besonderem Bezug auf die Region?
Kaufen Sie sich jetzt die aktuelle WIRTSCHAFT.

Zur aktuellen Wirtschaft

Wie Führung gelingt und gutes Bier entsteht

Wie Führung gelingt und gutes Bier entsteht

Juli 07, 2025 6 min lesen.

Jens Geimer, geschäftsführender Gesellschafter der Westerwald-Brauerei in Hachenburg im Gespräch über Qualität, Werte und unternehmerische Verantwortung

Vollständigen Artikel anzeigen
Chefsache | Neue Wege für Wohnraum und Baukultur

Chefsache | Neue Wege für Wohnraum und Baukultur

Mai 12, 2025 7 min lesen.

Wie gelingt nachhaltige Stadtentwicklung trotz Wohnraummangel? Architekt Jens J. Ternes setzt auf Stadtumbau, Nachverdichtung und generationengerechtes Wohnen – mit kreativen Lösungen und gesellschaftlicher Verantwortung.

Vollständigen Artikel anzeigen
Photovoltaik mit Konzept

Photovoltaik mit Konzept

Februar 28, 2025 3 min lesen.

Die Nachfrage nach Photovoltaik steigt, doch für nachhaltigen Erfolg sind durchdachte Konzepte gefragt. Geschäftsführer Sven Endris erklärt, wie innovative Lösungen die Effizienz steigern und warum individuelle Planung entscheidend für wirtschaftlichen Nutzen ist.

Vollständigen Artikel anzeigen
Evengelos Botinos und Matthias Schönberg stehen nebeneinander und lächeln in die Kamera.

Chefsache | Global präsent, lokal verwurzelt

Dezember 20, 2024 2 min lesen.

Simona-CEO Matthias Schönberg spricht mit Evangelos Botinos über Innovation, Nachhaltigkeit und die Resilien  z des Mittelstands für 2025.

Vollständigen Artikel anzeigen