Wie Führung gelingt und gutes Bier entsteht

Juli 07, 2025 6 min lesen.

Wie Führung gelingt und gutes Bier entsteht

Chefsache Jens Geimer, geschäftsführender Gesellschafter der Westerwald-Brauerei in Hachenburg im Gespräch über Qualität, Werte und unternehmerische Verantwortung

Wer im Westerwald an Bier denkt, kommt an Hachenburg nicht vorbei. Und hinter dem Namen Hachenburger steht seit mehr als 15 Jahren Jens Geimer. Als Inhaber und Geschäftsführer hat er die Westerwald-Brauerei mit unternehmerischer Klarheit, handwerklicher Konsequenz und viel Gespür für Menschen neu aufgestellt. Im Gespräch mit rz Media-Geschäftsführer Evangelos Botinos und WIRTSCHAFT-Redakteurin Anika Tilemann spricht er über moderne Führung, unternehmerische Verantwortung und Heimatverbundenheit. 

Botinos: Herr Geimer, Sie führen heute eine der bekanntesten Brauereien der Region. Ihren ersten Kontakt zum Unternehmen hatten Sie jedoch nicht im Chefbüro, sondern als Auszubildender. Wie hat sich Ihre Rückkehr in die Westerwald-Brauerei nach Ihrer Ausbildung ergeben?
Geimer: Ich habe 1991 meine kaufmännische Ausbildung in der Westerwald-Brauerei begonnen, bin also ein echtes Eigengewächs. Nach meinem anschließenden Studium der Internationalen Betriebswirtschaft in Bremen war ich mehrere Jahre in der Textilindustrie tätig – international ausgerichtet und viel unterwegs. Die Aufgabe hat mich sehr erfüllt und ich bin dann in München sesshaft geworden. 2007 meldete sich allerdings Heiner Schneider, der damalige Inhaber der Westerwald Brauerei. Wir waren stets in gutem Kontakt geblieben. Als er mich fragte, ob ich mir eine Rückkehr und die Nachfolge vorstelle, konnte ich nicht lange überlegen – die Aufgabe hat mich sofort gereizt.

Tilemann: Sie haben dann fast zwei Jahre später die Leitung der Brauerei übernommen. Wie genau verlief dieser Wechsel in der Praxis? 
Geimer: Genau, 2009 habe ich die ersten Anteile übernommen und die Geschäftsführung angetreten. Die Übergabe war sehr gut vorbereitet und wurde damals sogar mit einem Nachfolge-Award ausgezeichnet. 2010 ist Heiner Schneider aus dem operativen Geschäft ausgeschieden und hat zunächst den Vorsitz in unserem Unternehmensbeirat übernommen. Ich bin ihm sehr dankbar für diese souveräne und vertrauensvolle Übergabe – das ist keineswegs selbstverständlich. Von Anfang an herrscht ein Geist des Miteinanders und der Verantwortung, den wir bis heute pflegen. In diesem Sinne verstehen wir uns weiterhin als Familienunternehmen in fünfter Generation.

Botinos: Zu Beginn Ihrer Zeitgalt es als Geschäftsführer, ein traditionsreiches Unternehmen strategisch neu auszurichten. Wo haben Sie angesetzt?
Geimer: Zunächst gab es eine ehrliche Bestandsaufnahme: Der Ruf der Brauerei war gut, doch bei der Wahrnehmung unserer Produkte gab es Nachholbedarf. Die empfundene Qualität stimmte nicht mehr in allen Bereichen, das Profil war unscharf geworden. Außerdem haben wir uns persönlich und auch in den Abläufen neu aufgestellt. 2011 kam der Markenrelaunch mit einer klaren Haltung: 100 Aromahopfen, lange Reifezeiten Prozent und eine konsequente Qualitätsstrategie. Seit 2015 sind wir sogar zertifizierter Slow Brewer – als eine von wenigen Brauereien in Europa dürfen wir dieses Siegel tragen. Die Maßnahmen wirken nicht über Nacht, aber sie machen sich bald bemerkbar. Seit 2014 verzeichnen wir ein kontinuierliches Wachstum in Nachfrage und Markenstärke.

Tilemann: Nach der Neuausrichtung in Struktur und Markenbild: Wie führenSie die Brauerei heute – mit welchem ​​Stil,mit welchen Prinzipien?
Geimer: Unser Führungsstil ist von Transparenz und einem echten Miteinander geprägt. Mit der Einführung einer Matrixorganisation haben wir klare Zuständigkeiten geschaffen, die Orientierung geben und Verantwortung ermöglichen. Gleichzeitig fördern wir aktiv die bereichsübergreifende Zusammenarbeit – in Workshops, Projekten und im täglichen Austausch. Viermal im Jahr stellen wir allen 120 Mitarbeitern unsere Geschäftszahlen vor. Gerade in herausfordernden Zeiten wie während der Coronapandemie hat sich diese Offenheit bewährt. Wir investieren stark in Weiterbildung. Rund 6000 Schulungsstunden pro Jahr zeigen, wie ernst wir es mit der Entwicklung unserer Teams meinen. So entsteht
eine Arbeitsatmosphäre, die Vertrauen schafft und Ideen Raum gibt.


Botinos: 6000 Schulungsstunden pro Jahr – wie setzt sich diesebeeindruckende Zahl zusammen?
Geimer: Die Zahl ergibt sich daraus, dass wir wöchentlich interne Weiterbildungen zu unserer Geschichte, unseren Produkten und natürlich zu fachlichen Themen anbieten. Damit wir das
Wissen frisch halten, den Austausch fördern und echte Entwicklungsmöglichkeiten schaffen.


Tilemann: Welche Werte vermitteln Sie inIhrer Arbeit – und was erwarten Sie indieser Hinsicht von Ihren Führungskräften?
Geimer: Ehrlichkeit, Verpflichtung und Verantwortungsbewusstsein. Wer bei uns führen will, muss mit guten Beispielen vorangehen und den Willen zur ständigen Verbesserung mitbringen. Das gilt aber letztlich nicht nur für Führungskräfte, sondern für alle im Unternehmen. Auch ein Kollege an der Abfüllanlage kann Prozesse verbessern, wenn er Routinen hinterfragt und seine Erfahrung einbringt. Genau diese Haltung wollen wir stärken. Dazu gehört, dass jeder seinen Arbeitsplatz aktiv mitgestaltet.

Botinos: Sie sprechen viel über Menschen.Wie wichtig ist Ihr Team? 
Geimer: Extrem wichtig. Der Mensch ist
unsere größte Investition. Wir arbeiten ohne Leiharbeit und ohne ausgelagerte Prozesse, wir machen alles selbst – vom Gärtner bis zum Bierfahrer. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter identifizieren sich mit der Marke und gestalten aktiv mit. Unser Cola-Orange-Mix „Hachenburger Kalter Kaffee“ ist ein gutes Beispiel – der Name stammt aus dem Brainstorming einiger Kollegen. Gleichzeitig sind unsere Leute auch Botschafter der Marke: Auf jedem Fest, bei jeder privaten Feier werden sie auf unsere Produkte angesprochen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die Haltung zum Unternehmen stimmt. Genau das zeichnet uns aus.

Tilemann: Hachenburger steht dabei nicht nur für gutes Bier, die Brauerei gilt als besonders nachhaltig. Was steckt dahinter? 
Geimer: Ein echter Wille zur Veränderung. Nachhaltigkeit ist fester Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Seit 2021 sind wir bilanziell CO2-neutral. Strom, Biogas, sogar Kohlensäure produzieren wir selbst. Unser Fuhrpark − selbst die Transportfahrzeuge − fährt zu großen Teilen elektrisch. Abfallstoffe begreifen wir als Wertstoffe. Der anfallende Treber wird als hochwertiges Futtermittel an landwirtschaftliche Betriebe in der Region abgegeben, während wir die Reststoffe aus dem Produktionsprozess zur Biogaserzeugung nutzen. So bleibt möglichst viel im Kreislauf. 93 Prozent unserer Rohstoffe stammen aus der Region. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch klug. Und was uns besonders wichtig ist: Wir wollen zeigen, dass unternehmerischer Erfolg und gesellschaftliche Verantwortung kein Widerspruch sind.

Botinos: Wie gelingt es, dabei glaubwürdig zu bleiben? 
Geimer: Indem wir überzeugen, nicht missionieren. Und wir zeigen, dass der Mensch mit Haltung auch wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Unser Anspruch ist ein qualitativ hochwertiges Produkt, das nicht nur gut schmeckt, sondern auch verantwortungsvoll entsteht.

Tilemann: Regionale Rohstoffe, kurze Wege, echte Nähe – das ist ein klarer Gegenentwurf zum anonymen Massenmarkt. Wie gelingt eine erfolgreiche Marktpositionierung? 
Geimer: Wir setzen bewusst auf Regionalität – nicht als Marketinginstrument, sondern als echtes Prinzip. Rund 80 Prozent unseres Umsatzes erzielen wir im Einzelhandel vor Ort, 15 Prozent entfallen auf die gut geführte Gastronomie und fünf Prozent auf Veranstaltungen. Unser Absatzgebiet umfasst etwa 75 Kilometer rund um Hachenburg. Diese geografische Fokussierung verschafft uns viele Vorteile: Die Wege sind kurz, die Logistik effizient und der Kundenkontakt direkt. Dass wir dabei auch emissionsarm mit E-Lkw unterwegs sein können, entspricht unserem Anspruch, Verantwortung auf allen Ebenen zu leben. 

Botinos: Wie wichtig ist die Marke Hachenburger für die Region?
Geimer: Sehr wichtig. Die Menschen hier identifizieren sich mit uns. Das spüren wir besonders in unserer ErlebnisBrauerei. Rund 30 000 Besucher kommen jedes Jahr zu uns – viele davon aus der Region, viele sogar mehrmals. Sie erleben, wie wir arbeiten, was uns ausmacht, und nehmen ein Gefühl mit nach Hause, das man mit Werbung allein nicht erzeugen kann. Ob bei einer Führung, einem Event oder einem Bierseminar: Wir kommen mit Menschen ins Gespräch, hören ihnen zu und vermitteln unsere Werte.

Tilemann: Die Marke befindet sich aktuell im Wandel, das Sortiment ist breiter geworden. Welche Rolle spielen alkoholfreie Produkte und Erfrischungsgetränke in Ihrem Portfolio?
Geimer: Gerade bei der jüngeren Generation beobachten wir veränderte Trinkgewohnheiten: bewusster Konsum und ein größeres Interesse an alkoholfreien Varianten. Jede siebte Flasche, die wir heute verkaufen, ist alkoholfrei. Darauf reagieren wir und werden bis Ende des Jahres jede unserer Biersorten auch alkoholfrei anbieten. Neu im Sortiment ist zum Beispiel das Hachenburger hell alkoholfrei, das seit wenigen Tagen erhältlich ist. Neben den alkoholfreien Bieren verzeichnen wir auch bei unseren Hachenburger Limmos und Kalter Kaffee, Limonaden, Schorlen und Wasserprodukten eine sehr stark wachsende Nachfrage. Diese Getränke haben sich gut am Markt etabliert und bieten der Gastronomie und auf Festen einen praktischen Vorteil: Sie werden in denselben Flaschen wie unser Bier abgefüllt – das erleichtert die Logistik und vereinfacht die Rückgabe. Für viele Menschen, die auf Partys oder Festen kein Bier trinken möchten, sind unsere alkoholfreien Alternativen eine willkommene Möglichkeit, dennoch Teil der Gemeinschaft zu sein. Gleichzeitig ermöglichen unsere Limonaden den Einstieg in das Ganztagesgeschäft, da vormittags oder mittags in der Regel kein Bier getrunken wird.

Botinos: Der Getränkemarkt ist eng und hart umkämpft. Wie bewerten Sie die Stellung mittelständischer Brauereien – und wo sehen Sie die Westerwald-Brauerei in diesem Umfeld? 
Geimer: Mittelständische Brauereien haben es bemerkenswert schwerer als große Konzerne – vor allem, was Einkaufspreise, Sichtbarkeit und Vertrieb angeht. Aber genau darin liegt auch unsere Stärke: Wir sind näher an den Menschen, agieren schneller, entscheiden unabhängiger. Unser Erfolg basiert nicht auf Masse, sondern auf Profil, Qualität und Vertrauen. Wer sich klar positioniert, glaubwürdig bleibt und bereit ist, auch neue Wege zu gehen, hat eine gute Chance, sich zu behaupten. Denn die Faszination Bier wächst wieder. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Mittelstand eine gute Zukunft vor sich hat – wenn er sie entschlossen und aktiv in die Hand nimmt


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