Dossier: Bildungschancen | Verspielen wir unsere Zukunft? - Lehrkräftemangel

Februar 29, 2024 4 min lesen.

Eine Lehrerin mit lachsfarbenem T-Shirt und beigem Cardigan. Im Hintergrund Kinder, die an die Tafel mahlen und an ihrem Platz sitzen.

Schon heute gibt es zu wenige Lehrerinnen und Lehrer. Und bald kommt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Ab August 2026 sollen zunächst alle Grundschulkinder der ersten Klassenstufe die Berechtigung erhalten, ganztägig gefördert zu werden. Der Anspruch wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet. Wie die Lücke zwischen Lehrkräftemangel und zusätzlichem Bedarf geschlossen werden soll, ist noch nicht klar.

Foto: WavebreakmediaMicro/stock.adobe.com

Lehrkräfte Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Rheinland-Pfalz vertritt die Interessen des Lehrpersonals an Schulen. Im Gespräch mit der WIRTSCHAFT erklärt der Landesvorsitzende Lars Lamowski, warum die Zeit der Diagnosen vorbei ist und endlich Lösungen kommen müssen, um den Lehrermangel zu stoppen.

Von Hans-Rolf Goebel

Nichts anderes als ein richtig großer Aufschlag sei nötig, um im Bildungssystem die Wende zum Besseren einzuleiten, sagt Lars Lamowski, der als Landesvorsitzender des VBE die Interessen der Lehrer und der pädagogischen Fachkräfte an Schulen, also Erzieherinnen und Erzieher, vertritt. „Der Status quo sieht wie folgt aus: Immer weniger qualifiziertes Lehrpersonal muss den dauerhaft steigenden Ansprüchen an das Bildungssystem gerecht werden.“ Das Bildungssystem sei jetzt schon überfordert, unter anderem deshalb, weil sich über die Jahre die Haltung der Gesellschaft zur Schule stark verändert habe. „Schule wird heutzutage oft als Dienstleister betrachtet, der als Problemlöser für die Gesellschaft funktionieren soll. Das reicht vom Erwerb sozialer Kompetenzen bis zur Demokratieerziehung und der gesunden Ernährung“, sagt Lamowski. Es habe sich seit Jahren vieles an zusätzlichen Aufgaben angehäuft, ohne dass die notwendigen Ressourcen bereitgestellt wurden.

Besondere Sorgen bereitet ihm der von Bundestag und Bundesrat beschlossene Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Ab August 2026 sollen zunächst alle Grundschulkinder der ersten Klassenstufe ein Anrecht erhalten, ganztägig gefördert zu werden. In den Folgejahren wird der Anspruch um je eine Klassenstufe ausgeweitet. Damit steht ab August 2029 jedem Grundschulkind der Klassenstufen eins bis vier eine ganztägige Betreuung zu.

„Wir müssen dringend mehr Personal einstellen und den Lehrerberuf wieder attraktiver gestalten. Dafür müssen von der Politik endlich passende Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden.“
Lars Lamowski, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz (VBE)

Das Gesetz will eine Betreuungslücke schließen, die nach der Kitazeit für viele Familien entsteht, sobald die Kinder eingeschult werden. „Die Idee ist gut, aber bei der Ganztagsbetreuung tritt das Problem offen zutage. Es gibt jetzt schon zu wenige Lehrer. Wer also soll dieses Angebot ab 2026 umsetzen?“, fragt Lamowski. Er schlägt vor, stärker als bisher für den Lehrberuf zu werben. „Wir müssen dringend mehr Personal einstellen und den Beruf endlich attraktiver und zeitgemäßer gestalten. Dafür müssen von der Politik endlich passende Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden.“ Für ihn gehört auch eine faire Besoldung dazu. Lamowski verweist darauf, dass von 16 Bundesländern 13 die Grundschullehrkräfte nach A13 bezahlen oder dies planen. In Rheinland-Pfalz bewege sich hingegen nichts. Dies sei für ihn nicht nur ein personalpolitisches Problem, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit.

Der Verbandschef, der selbst Rektor der Michaelschule in Kirchen im Westerwald ist, berichtet davon, dass der augenblickliche Bestand an Lehrern abschmilzt. Die Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die wegen Überlastung und Frustration in Teilzeit wechseln oder komplett aussteigen, nehme zu. Schulleiter lassen sich entpflichten und reduzieren ihre Tätigkeit auf den reinen Unterricht.

„Lehrer oder Lehrerin zu sein, ist ein sehr schöner Beruf, aber wir müssen Änderungen vornehmen. Ich denke da zum Beispiel an die Unterstützung der Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams.“ Aufgabe der Lehrkräfte sei die Unterrichtsvorbereitung, das Halten des Unterrichts und die Nachbereitung. Tätigkeiten wie Schulsozialarbeit oder Schulpsychologie sollten dagegen dauerhaft von externen Fachkräften übernommen werden. Der VBE schlägt vor, Grundschulen in Verbünden, sogenannten Clustern, zu organisieren, um die Betreuung durch professionelle Schulsozialarbeit und Schulpsychologie vor Ort auch wirtschaftlich vertretbar gestalten zu können.

Grafik zum steigenden Bedarf der Lehrkräfte in Deutschland
Das Institut der deutschen Wirtschaft hat den künftigen Bedarf an Lehrkräften mit dem voraussichtlich verfügbaren Lehrpersonal verglichen. Es ergibt sich eine große Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage: Im Schuljahr 2025/2026 werden voraussichtlich 35 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen – fünf Jahre später sind es schon 68 000 und 2035/2036 sogar 76 000.
Quelle und Grafik: Institut der deutschen Wirtschaft

„All das wird Geld kosten und kein Geld war schon immer da“, sagt Lamowski mit einem Augenzwinkern. Er sei sich bewusst, dass der Bildungsetat schon jetzt der größte Posten im Landeshaushalt ist. „Aber das derzeit vorhandene Geld wird nicht ausreichen, den steigenden Personalmangel und die dringend erforderlichen Systemänderungen im Bildungswesen aufzufangen. Hier ist auch der Bund in der Pflicht.“

Der Verbandsvorsitzende lobt hingegen den Digitalpakt Schule. Mit diesem werden mittlerweile mehr als sieben Milliarden Euro aus Bundes- und Landesmitteln für den Aufbau digitaler Infrastrukturen an Schulen zur Verfügung gestellt. Nutznießer sind alle allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in öffentlicher und privater Trägerschaft.

„Die Schulen in RheinlandPfalz sind inzwischen deutlich besser ausgerüstet. Und die Schülerinnen und Schüler haben gute Fortschritte im Umgang mit den digitalen Medien gemacht.“ Lamowski hofft aber in dem Zusammenhang, dass auch die Nachrüstung der Hardware und das Updaten der Software finanziell und personell abgedeckt ist. „Sonst wird aus einem viel gelobten Projekt am Ende wieder ein Problem.“

Zum Verband

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Rheinland-Pfalz vertritt als parteipolitisch unabhängige Bildungsgewerkschaft die Interessen seiner Mitglieder aus allen Bildungseinrichtungen. Der VBE ist eine der beiden großen Bildungsgewerkschaften in Rheinland-Pfalz und die mitgliederstärkste Fachgewerkschaft im DBB Beamtenbund und Tarifunion.

Portrait von Lars Lamowski Landesvorsitzenden des VBE.

Zur Person

Nach dem Studium des Lehramts an der Universität Siegen absolvierte Lars Lamowski sein Referendariat an einer Brennpunktschule in Bergneustadt. Zwischen 2007 und 2009 arbeitete er als Konrektor an der Michaelschule in Kirchen. Hierbei leitete er den Prozess zum Aufbau der Ganztagsbetreuung und der Schwerpunktschule mit ein. Von 2009 bis 2017 war er Schulleiter an der Grundschule Brachbach, bevor er als Schulleiter an die Michaelschule in Kirchen zurückkehrte.

Für den Verband Bildung und Erziehung (VBE) Rheinland-Pfalz vertritt Lamowski seit 2012 die Interessen der Mitglieder im Hauptpersonalrat für Lehrkräfte an den Grundschulen des Landes. 2022 wurde er zum Landesvorsitzenden des VBE gewählt. In dieser Funktion ist er auch im Bundesvorstand des VBE tätig.

Foto: VBE Rheinland-Pfalz

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