Geld & Erfolg | Wirtschaftspsychologie für den Unternehmenserfolg

Februar 29, 2024 5 min lesen.

Sinnbild: eine Frau im lila T-Shirt vor einem aufgeklappten Laptop. Sie schlägt die Hände vors Gesicht im Hintergrund Bleistiftzeichnungen von einer Familie, Social Media Icons, einer Vertragsübergabe, Büchern und vielem mehr.

Krankschreibungen aufgrund psychischer Leiden durch Probleme am Arbeitsplatz nehmen einen großen Anteil der Gesamt-Krankmeldungen ein. Die Diagnosen lauten Anpassungsstörungen, Belastungsstörungen, Erschöpfungssyndrom oder Neurasthenie.

Foto: Lukas Bieri/Pixabay

Wissenschaft Unternehmen, die die Bedeutung von psychologischen Aspekten erkennen und nutzen, schaffen sich Wettbewerbsvorteile. Wer wirklich versteht, was Mitarbeiter und Kunden antreibt, gewinnt im Business.

Von Gudrun Heurich

Zu den typischen Aufgabenfeldern der Wirtschaftspsychologie gehören Marketing, Personalwirtschaft, Produktentwicklung und Produktionssysteme – Bereiche, die zur unternehmerischen Wertschöpfung beitragen. „Die Relevanz der Wirtschaftspsychologie rückt vermehrt ins Bewusstsein der Unternehmen“, berichtet Angela Kollia, Diplom Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin in Koblenz. „Diese Wissenskompetenz ist von größter Bedeutung für die Bilanz und eine immens wichtige Säule des Unternehmenserfolgs, wird jedoch immer noch in der Umsetzung unterschätzt.“

Wirtschaftspsychologie ist die Schnittstelle zwischen betriebswirtschaftlichem und psychologischem Wissen und dient der optimalen Bilanzierung auf allen Ebenen, wie die Psychologin erklärt. Die Keywords in der Wirtschaft beziehen sich meist auf die harten Wirtschaftsdaten wie Absatzzahlen, Aktienkurse, Arbeitsleistung, Produktivität oder Bruttoinlandsprodukt. Doch all diese Aspekte sind das Ergebnis der Entscheidungen von Menschen. „Die Wirtschaftspsychologie betrachtet auch die weichen Komponenten wie die Kundenbindung oder eine erfolgreiche Mitarbeiterführung“, so Kollia.

„Es wäre fatal, die Wirtschaftspsychologie im Management der Unternehmen zu vernachlässigen.“
Angela Kollia, Diplom Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin in Koblenz.

Denn das fundierte Wissen über die sozialpsychologischen Aspekte in der Marktwirtschaft, zum Beispiel das Konsumentenverhalten, bringt für erfolgreiches Marketing und Verkaufsstrategien enorme Vorteile. Auch Recruiting, Personalentwicklung und Personalbindung gewinnen an Bedeutung durch die qualitative Aufwertung von Jobs. Zusätzlich stellt die fortschreitende Digitalisierung hohe Anforderungen an die Führungskompetenz, die psychosoziale Führung der Mitarbeitenden wird immer wichtiger.

Viele Unternehmen haben die Chance erkannt. Immer mehr Stellenausschreibungen richten sich speziell an Absolventen eines Studiums für Wirtschaftspsychologie. Experten also, die zentrale Unternehmensbereiche mit wichtigen Kompetenzen ergänzen sollen. Mittlerweile entscheidet der Kampf um Kunden und Mitarbeitende über die Zukunft von Unternehmen. Der Mensch gilt als Erfolgsfaktor und Wirtschaftspsychologie als Instrument, um ihn zu gewinnen. Denn es geht immer um das Verhalten von Menschen. Bei den Kunden um Kaufverhalten, Produktverwendung und Mediennutzung. Bei den Mitarbeitenden um Arbeitsleistung und Motivation.

Portrait Angela Kollia, Diplom Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin in Koblenz

Angela Kollia ist Diplom Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin in Koblenz. Sie beschreibt, wie eng Psychologie und Wirtschaft miteinander verwoben sind. Leider wird dies von vielen Unternehmen immer noch unterschätzt.

Foto: Angela Kollia

Wirtschaftspsychologie deckt Emotionen auf, macht die Menschen sichtbar und geht noch tiefer. Sie erforscht das Erleben in all seinen Facetten: Einstellung, Werte, Zufriedenheit, Vertrauen, Sympathie und Motive. Wirtschaft ist also auch ein soziales Phänomen. Alle wirtschaftlichen Strukturen wie Unternehmen, Kundengruppen oder Marktsegmente sowie sämtliche Prozesse wie Konsum, Investition oder Arbeit sind das Ergebnis von Entscheidungen einzelner Individuen.

Wirtschaftspsychologie in der Praxis

Die Zufriedenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ist massiv gesunken, wie die Jobstudie 2023 von EY (Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young Global Limited) ergab. Danach bezeichnet sich aktuell nicht einmal ein Drittel aller Befragten (31 Prozent) als zufrieden, wenn es um ihre Arbeitssituation geht. Vor zwei Jahren waren dagegen noch 49 Prozent zufrieden. Gleichzeitig ist der Anteil derer, die mit ihrer beruflichen Situation „eher unzufrieden“ oder „unzufrieden“ sind, von zehn Prozent im Jahr 2021 auf aktuell 17 Prozent gestiegen. Der Anteil der Arbeitnehmer, die motiviert sind, sinkt von 78 auf 71 Prozent. Fast jeder Dritte findet keine Anerkennung für sich und seine Arbeit. Die Studie ergab auch, dass der Führungsstil im Unternehmen eine große Rolle bei der Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielt.

Eine optimale Personalauswahl und eine gute Mitarbeiterführung sind also wertvolle Investitionen in die Zukunft von Unternehmen. Doch vielen Personalabteilungen fehlt die psychologische Fachkompetenz. Sie nutzen die wissenschaftlich fundierten Potenziale der Personalauswahl nicht effektiv.

Psychologin Angela Kollia begleitet daher Change-Manager auf struktureller und auf strategischer Ebene, um bestehende Prozesse zu verbessern. „In meinem Praxisalltag suchen sowohl Unternehmer als auch Arbeitnehmer Beratung, Coaching oder Problemlösungshilfen. Beide Seiten sind oft ‚ausgebrannt‘ mit chronifizierter Erschöpfung und benötigen psychische Unterstützung.“

Sinnbild: Ein Mann im blauen Hemd, der Haareraufend vor seinem Laptop sitzt. Um ihn herum viele verschiedene Gegenstände: Eine Kaffee, eine Kamera, ein Block mit Stift, eine Pflanze und eine Filmklappe.

Die Jobstudie 2023 von EY (Mitgliedsunternehmen der Ernst & Young Global Limited) ergab, dass fast jeder dritte Arbeitnehmer keine Anerkennung für sich und seine Arbeit findet. Der Führungsstil im Unternehmen spielt eine große Rolle bei der Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (EY Jobstudie Motivation, Zufriedenheit und Work-Life-Balance, Ergebnisse einer Befragung von 1555 Beschäftigten in Deutschland Mai 2023).

Foto: Gerd Altmann/Pixabay

Zu ihren Aufgaben gehört die Gefährdungsbeurteilung durch psychische Belastungen (verankert im ArbSchG §5). „Psychologisches Know-how kann kosteneffizient sein, um beispielsweise Ausfälle der Mitarbeiter durch psychische Erkrankungen, verursacht am Arbeitsplatz, zu vermeiden“, erklärt sie.

Die Erfahrungen aus ihrer 20- jährigen psychotherapeutischen Praxis zeigen, dass die Krankschreibungen aufgrund psychischer Leiden durch Probleme am Arbeitsplatz im Durchschnitt bei einem Drittel der Gesamtfälle liegen. Die Diagnosen Anpassungsstörungen, Belastungsstörungen, Erschöpfungssyndrom oder Neurasthenie spiegelten sich in den Daten der Krankenkassen wider. „Leider finden nicht alle Menschen, die unter Arbeitsplatzbelastungen leiden, den Weg zum Psychotherapeuten“, bedauert sie. „Die Gründe reichen von Schamgefühl bis zu Hilflosigkeit oder Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.“

Auch bei Führungskräften liege oft eine Unsicherheit vor, effizient mit dem Thema umzugehen. Dies sei einerseits durch die eigene Überlastung bedingt, andererseits durch das fehlende Wissen und durch den Zeitfaktor. „Daher werden Probleme ignoriert, verdrängt, verschoben. So kommt es zur Eskalation, zu vermehrten Krankschreibungen und zum Konfliktstau, der sich letztendlich auf die Bilanz des Unternehmens auswirkt.“

Die Psychologie und die Wirtschaft sind eng miteinander verwoben. Im Personalmanagement, im Konsumentenverhalten, im Vertrieb und im Marketing – überall, wo es um die Interaktion mit Menschen geht, sagt die Psychologin. „Es wäre fatal, diese Tatsache im Management der Unternehmen zu vernachlässigen.“

Sinnbild: Das Gesicht einer jungen Dame, welches in einem in drei andere Gesichter über geht. Die anderen Gesichter sind Netzartig aufgebaut. Das ganze hat geschieht lediglich in schwarz und weiß tönen auf einem dunklen Hintergrund.

Wirtschaftspsychologie macht die Menschen sichtbar und forscht noch tiefer. Sie deckt das Erleben in all seinen Facetten auf: Einstellung, Werte, Zufriedenheit, Vertrauen, Sympathie und Motive.

Foto: Gerd Altmann/Pixabay

Wirtschaftspsychologie Wirtschaftspsychologie ist ein Teilbereich der Psychologie. Sie ist die empirische Wissenschaft vom Erleben und Verhalten der Menschen im wirtschaftlichen Kontext.

Die Wirtschaftspsychologie wurde bereits 1912 in der Theorie durch Hugo Münsterberg (deutsch-amerikanischer Psychologe und Philosoph) begründet. Mit seinem Buch „Psychologie und Wirtschaftsleben“ definierte er die Arbeits- und Organisationspsychologie fachlich. In den 50er Jahren hat George Katona mit seinen Beiträgen zu Analyse des Konsumentenverhaltens und zur empirisch verhaltenswissenschaftlichen Fundierung der Ökonomie die Relevanz der Wirtschaftspsychologie im Bewusstsein der Wirtschaftswissenschaften weiter wesentlich hervorgehoben. Auch P.L. Reynaud widmete sich 1954 in Frankreich den makroökonomischen Prozessen. Neben der anglo-amerikanischen „economic psychology“ von Katona hat sich im deutschen Sprachraum seit den 1980er Jahren eine Wirtschaftspsychologie entwickelt, die vornehmlich sozialpsychologische Erkenntnisse nutzt, um wirtschaftliches Verhalten zu erklären und vorherzusagen.

Psychische Erkrankungen steigen

Zahlen und Fakten

Der Arbeitsausfall durch psychische Erkrankungen ist auf einen neuen Höchststand gestiegen. 2022 wurden 301 Fehltage je 100 eigene Versicherte verzeichnet. Im Zehnjahresvergleich bedeutet dies einen Anstieg um 48 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr gab es den größten Anstieg bei den 25- bis 29-Jährigen. Die Fehltage bei Männern in dieser Altersgruppe stiegen um 29 Prozent. Bei Frauen lag der Zuwachs bei 24 Prozent. 20- bis 24-jährige Frauen hatten fast ein Viertel mehr Fehltage als gleichaltrige Frauen im Vorjahr. (DAK Gesundheit Psychreport 2022) In einer Arbeitgeberstudie der Techniker Krankenkasse gaben 38,5 Prozent der befragten Geschäftsführer, Gesundheitsverantwortlichen und Personaler an, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz wie Burnout, Überforderung und Depressionen schon jetzt eine große Bedeutung in ihren Unternehmen haben. Auf die Frage, welche Rolle psychische Erkrankungen in drei Jahren spielen werden, schätzten dies 70 Prozent der Befragten als bedeutsam ein. (Deutsches Ärzteblatt) Psychische Erkrankungen bleiben der Hauptgrund für die Bewilligung einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente (EM-Rente). 2022 entfielen rund 64 600 der knapp 164 000 erstmals gezahlten EM-Renten auf den Bereich „Psychosomatik und -therapie“. Das entspricht einem Anteil von 39,4 Prozent. (Deutsche Rentenversicherung)

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