Mai 12, 2025 6 min lesen.
Worum geht's?
Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland gerät zunehmend unter Druck. Eine Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag des BDI zeigt, dass viele Industrieunternehmen mit hoher Bürokratie, langen Genehmigungsverfahren, steigenden Energiepreisen und wachsendem Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Die Folge: Unternehmen verlagern Investitionen und Forschung und Entwicklung zunehmend ins Ausland.
Große Player wie Biontech, BW Converting oder Renolit berichten von erheblichen Hürden für Innovation und Expansion. Selbst solide aufgestellte Mittelständler wie Stihl sehen sich gezwungen, alternative Standorte zu prüfen. Parallel dazu sinken die ausländischen Direktinvestitionen – ein klares Signal für den Attraktivitätsverlust.
Zugleich gibt es auch gegenteilige Beispiele: BASF und Renolit bekennen sich zu Deutschland, fordern aber dringend planbare Rahmenbedingungen und faire Industriepolitik, etwa durch wettbewerbsfähige Strompreise. Fabian Göttlich (IHK Koblenz) und weitere Branchenvertreter kritisieren zögerliches Handeln der Politik und plädieren für tiefgreifende Strukturreformen.
Die zentrale Forderung aller: Eine Transformation des Standorts ist nur möglich, wenn die Politik verlässlich agiert, Bürokratie abbaut und zielgerichtete Förderung bietet – für eine Zukunft, in der Unternehmen wieder Vertrauen in den Standort Deutschland entwickeln können.
Die Abwanderung deutscher Unternehmen nimmt weiter zu. Die Ursachen sind vielfältig: hohe Energiepreise, zunehmende Bürokratie, Fachkräftemangel und ein insgesamt weniger wettbewerbsfähiges wirtschaftliches Umfeld. Die Industrieverbände schlagen Alarm.
Eine neue Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) bestätigt, dass das Vertrauen in die Innovationskraft des Standorts Deutschland gering ist. Befragt wurden 274 Unternehmen des produzierenden Gewerbes in Deutschland mit mindestens 250 Beschäftigten. 57 Prozent dieser Unternehmen schätzen die Rahmenbedingungen für ihre eigenen Innovationsaktivitäten als weniger oder gar nicht gut ein. Als Haupthindernis für Innovationen nennen die Verantwortlichen strenge gesetzliche Vorgaben und Regulierung (76 Prozent) sowie lange Genehmigungsverfahren (62 Prozent). 60 Prozent der Befragten sehen nur geringe Chancen, dass Deutschland seinen Wettbewerbsrückstand schnell aufholen kann. Für manche Betriebe ist die Verlagerung ins Ausland bereits Realität. So kündigte das Mainzer Unternehmen Biontech vor zwei Jahren an, seine Krebsforschung nach Großbritannien zu verlagern. Als Grund wurden bessere Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung genannt. Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. 20 Prozent der vom Institut für Demoskopie Allensbach befragten Unternehmen geben an, den Bereich Forschung und Entwicklung schon ins Ausland verlagert zu haben, weitere neun Prozent denken darüber nach. Bei Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden liegt der Anteil noch höher: 34 Prozent haben Forschungsaktivitäten verlegt. Eine aktuelle Studie des Beratungskonzerns EY (Ernst & Young) zeigt sogar, dass 45 Prozent der befragten deutschen Industrieunternehmen planen, neue Standorte im Ausland zu errichten. Hingegen wollen nur 13 Prozent neue Standorte in Deutschland aufbauen.
Besonders bemerkenswert ist auch der Rückgang der Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen, wie die neu veröffentlichten vorläufigen Zahlen der Bundesbank zeigen: Im Jahr 2024 investierten sie nur knapp 35 Milliarden Euro in Deutschland – einer der niedrigsten Werte seit 2015. „Die Zahlen sind alarmierend. Deutschland verliert an Attraktivität für ausländische Investoren“, resümiert die Bundesbank.
Auch der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland habe bereits begonnen. Besonders energieintensive Branchen wie Chemie, Metall und Maschinenbau seien betroffen, da die Kosten in diesen Bereichen zu hoch seien. Der Verband betont, dass es sich um eine strukturelle Entwicklung handele, die nicht kurzfristig umkehrbar sei.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) vervollständigt die eher düstere Perspektive: „Die Unternehmen hierzulande mussten in den letzten Jahren viele neue Belastungen und staatliche Eingriffe verkraften. Ihr Vertrauen in den Standort ist daher auf einem Tiefpunkt.“ Das spiegele sich in den Investitionen wider, die etwa sechs Prozentpunkte unter dem Vor- Corona-Niveau lägen – mit weiter fallender Tendenz. Eine Umfrage der DIHK ergab, dass ein Drittel der Unternehmen plant, Investitionen zu reduzieren. „Das sind keine guten Aussichten für zukünftiges Wachstum“, so die DIHK. Fabian Göttlich, Regionalgeschäftsführer der IHK Koblenz, sieht in den aktuellen Standortbedingungen eine ernsthafte Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit: „Der Wirtschaftsstandort Deutschland hat in den vergangenen drei Jahren deutlich an Attraktivität verloren. Hierzulande liegt die Steuerlast im Mittel bei 30 Prozent, während der EUDurchschnitt bei 21,1 Prozent liegt. Dazu kommen hohe Energiepreise und eine überbordende Bürokratie. Diese Faktoren führen dazu, dass wir das dritte Jahr in Folge ohne Wirtschaftswachstum erleben.“
Göttlich kritisiert zudem die zögerlichen Maßnahmen der Politik, auch in Rheinland-Pfalz: „Die Landesregierung hat Gestaltungsspielraum, etwa beim Bürokratieabbau. Allerdings bleibt die aktuelle Strategie weit hinter den Erwartungen zurück. Viele Unternehmen warten ab, wie sich die Rahmenbedingungen in Deutschland entwickeln, und prüfen parallel dazu Standorte im Ausland.“ Besonders problematisch seien langwierige Genehmigungsprozesse. Er nennt ein Beispiel aus der Wundversorgung: Der Aufbau einer kleineren Produktionsstraße dauere international ein bis zwei Wochen, während die Genehmigungen und Prüfungen in Deutschland zwei Jahre in Anspruch nähmen.
Wie beurteilen Unternehmen selbst die aktuelle Lage? Frank Eichhorn, Geschäftsführer der BW Converting GmbH (vormals Winkler und Dünnebier) in Neuwied, beschreibt die Herausforderungen im internationalen Vergleich: „Deutschland punktet mit politischer Stabilität und einem verlässlichen wirtschaftlichen Umfeld. Gleichzeitig bremsen hohe Arbeitskosten, überbordende Bürokratie und eine Vielzahl regulatorischer Anforderungen – etwa das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, CSRD oder CBAM – zunehmend den unternehmerischen Spielraum.“ Als besonders langwierig nennt er ebenfalls die Genehmigungsverfahren: „In Serbien konnten wir innerhalb kürzester Zeit neue Produktionshallen errichten, während wir in Deutschland acht Monate auf eine Genehmigung für ein kleines Trafohäuschen warten mussten.“
Eichhorn bestätigt zudem, dass es immer schwieriger werde, Investitionen in Deutschland durchzusetzen: „Noch überzeugt unser Standort durch Know-how, Flexibilität und Produktqualität. Doch es wird zunehmend komplizierter, innerhalb des Konzerns neue Projekte für den Standort Deutschland zu gewinnen – schlicht weil das Umfeld, in dem wir agieren, hier komplexer und weniger investitionsfreundlich ist.“ Für Eichhorn muss die Politik jetzt handeln: „Statt immer neuer Detailregeln und Kontrollpflichten braucht es Vertrauen in unternehmerisches Handeln und unternehmerische Verantwortung. Leitplanken durch die Politik und Verwaltung statt Mikromanagement. Ein Beispiel sind die etlichen vorgeschriebenen Beauftragten in Unternehmen mit großem Aufwand und häufig zweifelhafter Wirkung.“
Trotz der negativen Entwicklungen gibt es Unternehmen, die am Standort Deutschland festhalten und weiter investieren. So betont ein Sprecher des Chemieunternehmens BASF: „BASF kehrt Ludwigshafen und Deutschland nicht den Rücken – im Gegenteil: in den Standort Ludwigshafen wird weiter investiert. Die historischen Daten der vergangenen Jahre belegen, dass wir hier kontinuierlich ausgebaut und modernisiert haben, trotz aller Wirtschaftskrisen, die hinter uns liegen.“ BASF werde weiter in Erhalt, Modernisierung und Ausbau in Ludwigshafen investieren – in den nächsten Jahren etwa zwei Milliarden Euro jährlich. Und auch das Unternehmen Renolit ist vom Wirtschaftsstandort Rheinland-Pfalz überzeugt und hat sich jüngst mit der Zusammenlegung der Werke Worms und Frankenthal für hohe Investitionen entschieden. In dieses Projekt wurden rund 130 Millionen Euro investiert − eine der größten Investitionen der Unternehmensgeschichte. Dennoch sieht Karsten Jänicke, Vorstandsvorsitzender von Renolit in Worms, die Problematik: „Die deutsche Wirtschaft wird durch die schwache Konjunktur, Inflation, Zinsen sowie die hohen Energiepreise belastet. Hinzu kommt ein Übermaß an Bürokratie, langsame Genehmigungsverfahren und mangelnde Digitalisierung. Das Ergebnis: Die Sachverständigen rechnen für 2025 mit einem realen Bruttoinlandsprodukt von nur 0,3 Prozent.“ Die Wirtschaft in Rheinland- Pfalz könne sich der aktuellen Entwicklung in Deutschland nicht verschließen. „Das Bundesland ist geprägt durch mittelständische Unternehmen in vielfältigen Branchen, die für eine gesunde wirtschaftliche Stabilität sorgen. Leider haben die EU und der deutsche Staat in den letzten Jahren den Bogen an der einen oder anderen Stelle etwas überspannt. Das bemerken wir zum Beispiel im europäischen Chemikalien- und Umweltrecht, das, trotz bereits höchster Standards weltweit, noch weiter verschärft werden soll.“
Die Renolit Gruppe hat mehr als 30 Produktionsstandorte und 20 Vertriebsgesellschaften in mehr als 20 Ländern. „Wir wissen, dass wir neue Absatzmärkte nur erschließen können, wenn wir in den Märkten vor Ort und nah bei unseren Kundinnen und Kunden sind“, sagt Jänicke. „Natürlich profitieren wir dabei auch von günstigen Standortbedingungen im Ausland. So sind in vielen Ländern zum Beispiel die Personalkosten, die Steuerlast und auch die Energiepreise niedriger. Darüber hinaus ist auch die Bürokratie geringer, die Genehmigungsverfahren gestalten sich einfacher und die Regulierungen sind flexibler.“ Jänicke hält wettbewerbsfähige Strompreise in einer global vernetzten Wirtschaft für unerlässlich. „Mit einem Industriestrompreis würden die EU und Deutschland faire Wettbewerbsbedingungen schaffen.“
In der rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinde Prüm in der Eifel (Ortsteil Weinsheim) befindet sich ein Werk des Forst- und Gartengeräteherstellers Stihl. Es ist eines der größten und modernsten Magnesium-Druckgusswerke Europas. Nun geriet das Familienunternehmen in die Schlagzeilen, als verschiedene Medien berichteten, Stihl plane eine Verlagerung in die Schweiz. In einem Interview in einer Tageszeitung hatte sich Nikolas Stihl, Gesellschafter sowie Beirats- und Aufsichtsratsvorsitzender, zum Neubau einer Produktionseinheit geäußert: „Wenn die Standortbedingungen bis 2030 in Deutschland nicht besser werden, werden wir in einem anderen Land investieren. Die Schweiz wäre hier eine Option.“ Mittlerweile teilte das Unternehmen mit, dass keine Standortverlagerung in die Schweiz geplant sei. Dennoch betont Nikolas Stihl, dass der deutsche Standort innerhalb kürzester Zeit massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren habe. „Wir müssen Deutschland umdrehen. Deutschland steht mit dem Rücken zur Wand.“
Die Politik – auch in Rheinland- Pfalz – weiß, dass für sie ein enormer Handlungsbedarf besteht. „Rheinland-Pfalz gilt als einer der führenden Industriestandorte in Deutschland“, heißt es in einer Veröffentlichung des rheinlandpfälzischen Wirtschaftsministeriums. Im Zuge der Transformation, zum Beispiel der Erreichung der Klimaziele, seien insbesondere die energieintensiven Unternehmen erheblich unter Druck geraten. „Daher gilt es, die Rahmenbedingungen zu überprüfen und weiterzuentwickeln, damit sich die energieintensiven Unternehmen an unserem Standort international wettbewerbsfähig aufstellen können“, äußerte sich Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt.
Bleibt zu hoffen, dass die Politik auf die Beteuerungen Taten folgen lässt. Die befragten Unternehmen sind sich jedenfalls einig: entscheidend seien stabile Rahmenbedingungen, verlässliche Förderstrategien und eine klare Industriepolitik, die Orientierung gibt, wo Deutschland künftig stark sein will. Nur so investierten Unternehmen gezielt, nachhaltig und zukunftsorientiert.
Chefredakteurin
Gudrun Katharina Heurich ist seit 2020 als freie Autorin für die WIRTSCHAFT tätig und übernahm 2023 die Chefredaktion. Die gelernte Redakteurin verantwortet die publizistischen und organisatorischen Redaktionsabläufe und verfasst diverse Artikel zu Wirtschaftsthemen.
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